Wiener Zeitung - Die Königin unter den Lederhosen
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Die Lederhose erlebt einen Aufschwung. Während man in der Stadt die Kracherne früher nur für Kirtage aus dem Schrank geholt hat, gilt die Tracht mittlerweile als hip. Doch Lederhose ist nicht gleich Lederhose.
Zwischen den Schnäppchen von der Stange beim Diskontanbieter und einer handgefertigten Hirschledernen liegen Welten. Das machen auch die Preise deutlich. Während man Fabrikware schon um hundert Euro bekommt, muss man für echte Qualität bei einem Säckler, also einem Lederhosenmacher, weit tiefer in die Tasche greifen: Preise unter tausend Euro gelten hier als Schnäppchen. Kein Wunder, dauert die Herstellung einer sämisch - das heißt mit Fischtran - gegerbten, handgefertigten Lederhose Monate. Ein Blick hinter die Kulissen der traditionellen Lederhosenerzeugung verrät, was das Trachtenstück so teuer macht.
Da wäre einmal das Leder. Vom Hirschen über Ziege bis zum Schwein ist alles möglich, aber eben nicht alles gleich gut. Für billige Lederhosen wird meistens pakistanisches Ziegenleder verwendet. Die höchste Qualität haben hingegen Gams- und Hirschleder, wobei sich bei der Frage nach Platz eins die Geister scheiden. "Gamsleder ist zwar seltener, aber sämischgegerbtes Hirschleder hat einen höheren Tragekomfort, weil es im Sommer nicht heiß und im Winter warm ist", findet der steirische Lederhosenerzeuger Alfred Lindmoser aus Rasing. Im Vergleich zum Hirschleder ist Gamsleder in der Regel auch "unreiner", hat also mehr Kratzer. Der Grund ist laut Lederbekleidungserzeuger Rudolf Daxner aus Ebensee im Salzkammergut einfach: Gämse sind in Felsen und Geröll unterwegs und ziehen sich in dieser Umgebung leicht Schrammen zu, die als Narben auf der Haut und später auch auf dem Leder sichtbar bleiben. Auch auf der Hirschledernen sind hier und da Striche zu sehen, die auf eine Verletzung durch einen Ast oder Stacheldraht hindeuten. Für Lindmoser ist das ein "Echtheitszertifikat" dafür, dass das Leder von einem heimischen Hirsch stammt. Eine makellose Hirschlederhose hat ihren Ursprung hingegen meist in der Ferne, und zwar in Neuseeland, wo Hirsche in Gehegen fernab von abstehenden Ästen oder Stacheldrahtzäunen gezüchtet werden. Während die Nachfrage nach Hosen ohne Kratzspuren früher groß war, geht der Trend laut dem Gerber Franz Schlüßlmayr aus Gröbming nun wieder zum österreichischen Freiwild. "Die Leute kommen drauf, dass die Kratzer einfach dazugehören", sagt er.
Langes Bad im Fischtran
Bei der Auswahl des Leders spielen noch andere Faktoren eine Rolle: "Das Leder darf nicht zu dünn und nicht grau sein", führt Daxner aus. Laut Lindmoser hängt die Qualität auch sehr von der Ernährung des Tieres und dem Zeitpunkt ab, wann dieses erlegt wurde. "Am besten ist, wenn das Wild im Herbst geschossen wurde, weil es da weniger Haare hat und das Fell zulasten der Haut geht", erklärt Lindmoser. Die Haare müssen zuerst einmal entfernt werden. Dazu muss die Haut ein paar Tage im Wasser einweichen und dann ein Monat in einem übel riechenden Wasser-Kalk-Gemisch baden. Im Anschluss können Haare, Fleisch und Fett einfach abgerieben werden. Auch der Kalk muss wieder entfernt werden und wird mit einer Beize ausgeschwemmt. Nun geht es zur Gerbung, wodurch die rohe Haut zu haltbarem Leder gemacht wird. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Traditionsbetriebe setzen auf Sämischgerbung, bei der die Häute mehrmals in großen, holzigen Gerbfässern stundenlang in Fischtran gewalkt, zum Trocknen aufgehängt und abermals gewalkt werden. "Die Sämischgerbung dauert bei uns zwei bis zweieinhalb Monate", sagt Schlüßlmayr. Schneller läuft hingegen eine chemische Gerbung ab, bei der als Gerbstoff Chrom verwendet wird. Das schlägt sich allerdings auch auf die Qualität: "Chromgerbung ist reine Chemie, das Leder gummiähnlich und nur wenig atmungsaktiv", erklärt Daxner. Im Gegensatz dazu seien sämischgegerbte Lederhosen gesünder, atmungsaktiver und auch angenehmer zu tragen. Laut Lindmoser hat das Gerbeverfahren mit Fischtran noch einen weiteren Vorteil: Es würde keine allergischen Reaktionen verursachen. Wer beim Kauf der Lederhose sichergehen möchte, dass das Leder sämisch gegerbt wurde, schaut am besten auf die Innenseite. Ist diese hellgelb, handelt es sich laut Schlüßlmayr um eine Sämischgerbung, ist sie gräulich oder in derselben Farbe wie die Außenseite der Hose, um eine Chromgerbung.
Farbe mit Bürstenstrich
Auf die Sämischgerbung folgen ein langer Prozess des Auswaschens und Einfettens und als weitere Schritte das Weichmachen und Schleifen des Leders, damit es schön samtartig wird. Nun fehlt noch die Farbe. "Normalerweise verwendet man dazu Blauholz, das ist eine Baumrinde", erklärt Lindmoser und zeigt eine Dose mit einer dem Schießpulver ähnlichen Substanz. Beim Sämischleder wird die Farbe einseitig mit einer Bürste aufgetragen oder aufgespritzt. Auch hier hebt sich die Qualitätslederhose von Massenprodukten ab, die oft als Ganzes in Farbfässer getunkt werden. "Deshalb haben billige Lederhosen innen dieselbe Farbe wie außen", gibt Lindmoser zu bedenken. Wenn das Leder in der gewünschten Farbe vorliegt, nimmt er Maß und schneidet die Hose zu. Für eine knielange Lederhose braucht er ein bis zwei Hirsche. Auch auf der Innenseite ist alles aus Leder. "Ein Innenfutter wäre kontraproduktiv. Das reine Leder auf der Haut ist am angenehmsten", betont Lindmoser.
Bevor die Hose endkonfektioniert und zusammengenäht wird, wird sie noch bestickt. In der Regel kann der Kunde bei der Maßanfertigung wählen, ob das mit der Hand oder der Maschine geschieht. "Das hängt davon ab, wie viel man ausgeben will", so Lindmoser. Handstickerei erkenne man daran, dass das bestickte Leder erhaben, also nach oben gewölbt ist. Je nach Region bietet jeder Lederhosenmacher eigene Motive und Farben an. "Im oberösterreichischen und im steirischen Salzkammergut etwa muss die Hose grün gestickt sein, in Salzburg beige", bringt Daxner als Beispiel. Die Spezialität des Lederhosenmachers aus Ebensee ist eine Lederhose, wie sie einst Erzherzog Johann trug: knielang, anliegend und siebennähtig handbestickt mit Motiven aus dem 18. Jahrhundert. Durchschnittlicher Arbeitsaufwand für die Stickerei: 90 Stunden. Preis: rund 5000 Euro. Wer sich das leisten möchte, braucht jedoch viel Geduld. Man kann es kaum glauben, aber der nächste Liefertermin für die lederne Rarität liegt im Oktober 2021. Da wirkt die Wartezeit bei Lindmoser von vier bis neun Monaten richtig kurz. Darunter ist eine maßgeschneiderte Lederhose kaum erhältlich. "Die Prozesse dauern einfach so lange", sagt Lindmoser.
Engpass bei Zubehör
Fragt man die heimischen Traditionsbetriebe, so ist die Nachfrage nach Qualitätslederhosen im Steigen. Auch wenn die Freude darüber groß ist, gibt es am Rande eine Entwicklung, die Lindmoser Sorgen macht: "Es ist immer schwieriger, schönes Zubehör, wie Schnallen, zu bekommen", schildert der Lederhosenerzeuger. Die Kurzwarengeschäfte, die dieses Zubehör angeboten haben, seien mit der Zeit ausgestorben, weil sie mit den Preisen der Großpackungen, die aus China angeschifft werden, nicht mithalten konnten. Für Lindmoser sind die importierten Massenartikel aber für Qualitätslederhosen ungeeignet. "Man möchte dafür ja auch individuelles Zubehör haben", erklärt er.
Pflegeleicht, ein Leben lang
Bedenkt man den ganzen Aufwand für eine Qualitätslederhose, so kann man die stattlichen Preise ein wenig besser verstehen. Außerdem begleitet einen eine echte Hirschlederne bis ans Lebensende, wobei sie erst mit der Zeit richtig urig wird. "Viele Kunden wollen eine Lederhose, die so aussieht, als wäre sie schon Jahre getragen worden", berichtet Lindmoser, "aber das kann man mit der Farbe nicht hinbekommen." Pflegen muss man das Trachtenstück gar nicht, nicht einmal waschen. "Wenn mich jemand fragt, was er bei einem Fettfleck auf der Lederhose machen soll, sage ich, er soll den zweiten abwarten", scherzt Lindmoser. Trotzdem gibt es Abhilfe bei Schmutz: Ein bisschen Magnesium oder Kreide auf den Fettfleck streuen, das hilft. Wasser schadet der sämischgegerbten Lederhose übrigens nicht. Am besten lauwarm mit Hirschseife durchwalken, die Hirschseife aber dann nicht auswaschen.
Artikel erschienen am 27. Oktober 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 18-21.